In der Indexfalle
Verehrter Mitdenker,
aus der Kapitalanlage und Berichterstattung an der Börse sind sie nicht wegzudenken: Aktienindizes wie der DAX, S&P 500, Nasdaq oder MSCI World. Mit einem Blick erkennt man die Stimmung an den Börsen, die sich nachfolgend meist auch in der Realwirtschaft einstellt. Via passive Indexfonds (ETFs) lässt sich dann diversifiziert und ohne mühselige Einzelanalysen auf diese Märkte als Ganzes setzen, um von steigenden Kursen zu profitieren. Dabei sind ETFs im Vergleich zu aktiven Fonds meist günstiger. Wen wundert's, dass diese indexbasierten Instrumente seit Jahren eine Erfolgsstory bei Anlegern sind. In den letzten 20 Jahren hat sich so das globale ETF-Vermögen auf über 11 Billionen $ fast verdreißigfacht. Allerdings: Immer stärker werden die Schattenseiten dieser Entwicklung sichtbar. Denn wichtige zugrundeliegende Aktienindizes weisen mittlerweile Risiken auf, die vielen Anlegern entweder egal oder nicht bewusst zu sein scheinen. Worauf ist zu achten?
Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu einem Vermögensberater, der Ihnen einen Vorschlag für die Anlage Ihres liquiden Geldvermögens machen soll. Ihr Kapital soll breit gestreut so in Aktien angelegt werden, dass damit die Performance des bekanntesten Weltaktienindex MSCI World geschlagen werden kann. Dieser wird als Industriestandard mit gut 1.500 Einzelaktien als globaler Vergleichsmaßstab von so gut wie jedem verwendet oder zitiert. Auf dieser Basis unterbreitet Ihnen der Berater konkret folgenden Vorschlag:
- Tauschen Sie Ihr ganzes Geld in US-Dollar um - der MSCI notiert in Dollar.
- Kaufen Sie zu 80 % US-Aktien, 20 % gehen in den Rest der Welt.
- Erwerben Sie zu 50 % nur Technologieaktien.
- Mehr als die Hälfte hiervon bilden Sie mit nur 7 US-Einzelaktien ab.
- Bei den restlichen 20 % erwerben Sie aus Europa nur 4 Aktien.
Klingt das für Sie nach einer sinnhaften Streuung Ihres Anlagekapitals oder eher einer Ansammlung von Klumpenrisiken?
Globale Risikodiversifikation sieht für mich anders aus. Man kann es zwar auch ganz anders machen, tatsächlich wäre diese schiefe Allokation für ein normales passives Aktienportfolio aber wegen der Zusammensetzung des MSCI so ähnlich nötig gewesen, um ihn zu schlagen. Denn dieser globale
Index wird mit fast 70 % von US-Aktien dominiert, mit den sieben großen Mega-Tech-Aktien an der Spitze. Ein Großteil des Aufwärtstrends des US-Aktienmarktes in der letzten Dekade (und damit auch des MSCI World Index) geht nur auf diese billionenschweren Einzeltitel zurück. Die Folge: Anleger am US-Aktienmarkt sind mittlerweile mit der höchsten Einzelaktienkonzentration seit 100 Jahren konfrontiert (siehe roter Kreis in Chart 1):
Und die Analyse zeigt, dass solche Übertreibungen historisch immer korrigierten.
Realwirtschaftliche Gründe dafür gab und gibt es immer wieder: An erster Stelle ist das Aufkommen margensenkender Konkurrenz zu nennen, auch in der Größenordnung von Mega-Konzernen. Erfolg zieht immer Nachahmer nach sich.
Des Weiteren ist politische Regulierung oder Zerschlagung ein valider Grund.
Und gerade bei innovativ-disruptiven Unternehmen besteht immer die Gefahr, dass zu viel Wachstumsfantasie in ein Produkt eingepreist ist, das am Ende aus Kosten- oder Nachfragegründen doch nicht so funktioniert wie versprochen:Entscheidend ist auf dem Platz!
Was bedeutet dies konkret für Anleger in ETFs und anderen indexnahen Anlageprodukten?
Zunächst ist zu sagen, dass die (rekord-) hohe Konzentration auf wenige Einzeltitel nicht nur ein Thema des Nasdaq 100, S&P 500 und MSCI World Index ist, wo die jüngste Hausse sehr stark von nur zwei Handvoll der 100, 500 bzw. 1500 Indexwerte (!) getrieben wurde. Den gleichen Effekt sahen wir zuletzt auch in europäischen Indizes mit nur vier Einzelaktien (ASML, SAP, LVMH und Novo Nordisk) als Kerntreiber.
Unstrittigerweise bedeutet diese Konzentration aus portfoliotechnischer Sicht eine klare Reduktion der Risikodiversifikationsleistung. Ein gut gestreuter Index/ETF müsste sich aus Risikosicht deutlich breiter und gleichgewichteter darstellen als die genannten Indizes. Daran ändert auch eine positive Einstellung zu den genannten Einzeltiteln nichts. Denn diese können sich weiter positiv entwickeln, müssen aber nicht. Im Negativfall ziehen sie den gesamten Index/ETF genauso mit sich herunter, wie sie ihn hochgetrieben haben. Angesichts der historisch rekordhohen Konzentration gibt es hierfür gute Argumente. Dabei kann sich aber auch ein etwas positiveres Szenario durchsetzen, bei dem freiwerdende Gelder aus diesen Einzeltiteln in einer Rotation den restlichen Indexaktien zugutekommen, so dass der Gesamtabwärtstrend stark abgefedert bis gestoppt wird.
Egal wie es sich in beiden Szenarien ausspielt, Anleger sind grundsätzlich besser beraten, ihr Geld rechtzeitig mit Tausch in gleichgewichtete oder non-technologische Fonds differenzierter aufzustellen. Gerade unter Risikoaspekten ergibt es auch Sinn, wieder mehr aktive Fonds zu nutzen. Diese zeigen ihren Mehrwert gegenüber ETFs nicht unbedingt über höhere Renditen, aber durchaus niedrigere Risiken. Dies hat gerade in Krisenzeiten seinen Wert.
Abschließend kann man natürlich nicht ausschließen, dass sich die Konzentrationswirkung und Performance in den genannten Indizes noch weiter verschärft. Nach dem Motto: Die Tech-Hausse nährt die Tech-Hausse, und die KI-Story ist unzweifelhaft schon etwas Besonderes.
Doch wenn einem die bisherige Erfolgsstory von Technologieaktien etwas deutlich gemacht hat: Je länger dieses Spiel
weitergetrieben wird, desto unangenehmer sehen (temporäre?) Kursrückschläge, insbesondere bei Einzelaktien, aus. Das muss man wegstecken können, auch bei schlechtester Nachrichtenlage. Letztlich muss auch KI erst noch beweisen, dass es in den Gewinnen vieler Unternehmen tatsächlich so positive Spuren hinterlässt, wie die hohen Bewertungen anzeigen. Nicht, dass sich KI vielfach nur als kostenloses Gadget entpuppt...
In diesem Sinne,
always expect the unexpected!
Ihr Mathias Werner