Robuste Zukunftsstrategien
Verehrter Mitdenker,
zu den wichtigsten Analysen in der Kapitalanlage zählte schon immer die Klärung der Frage, ob sich „der Markt“ strukturell verändert hat. Präziser: Folgt das Marktgeschehen durch das Auftreten bestimmter Ereignisse jetzt vielleicht anderen Regeln? Kann man diese erkennen und sind die „alten“ Regeln noch anwendbar? Ohne Zweifel entwickeln sich die Märkte in einem fortwährenden Evolutionsprozess immer weiter. Die Marktteilnehmer befinden sich in einem anhaltenden Wettbewerb der besten Analysen wichtiger Marktzusammenhänge. Wer die besten Prognoseinstrumente und -regeln frühzeitig erkennt, entwickelt und nutzt, kann sich für eine geraume Zeit lang über höhere Renditen und/ oder niedrigere Risiken an der Börse freuen. Doch wie erkennt man strukturelle Änderungen im Markt? Und wie reagiert man darauf, um zukünftig Erfolg zu haben?
Um dies gleich vorab zu klären: Mit „strukturellen Änderungen“ sind keine fundamentalen Ereignisse gemeint, die zu einem temporären Regimewechsel an den Börsen führen, wie z.B. das kräftige Anspringen und Abflauen der Inflationsraten seit 2022. Hierhinter stehen volks- oder betriebswirtschaftliche Entwicklungen, die in einer volatilen Welt so oder so ähnlich immer wieder auftreten und zu mehr oder weniger starken Schwankungen an den Börsen führen.
Strukturell heißt maßgebliche Änderungen in der Art und Weise, wie Marktteilnehmer an den Börsen vorgehen, worauf sie achten und was sie an technischen Werkzeugen nutzen. Mit zunehmender Breite verändert dies das Börsengeschehen dann generell. Man muss sich die grundlegenden wirtschaftlichen Fakten zwar immer wieder erarbeiten, doch hilft die beste Analyse nicht, wenn man sie zu spät erstellt und/oder strukturelle Änderungen im Markt übersehen hat. Man sollte seine eigene Anlagestrategie daher neben dem Tagesgeschäft immer wieder auf die Auswirkungen solcher Änderungen abklopfen.
Doch wie erkenne ich als Anleger, dass sich der Markt verändert hat und ich reagieren muss?
Strukturelle Änderungen treten entweder disruptiv oder schleichend auf. In Chart 1 sind vier signifikante Beispiele hierfür zu erkennen, drei davon bezeichnenderweise aus Börsencrashs heraus.
Ich erinnere mich z.B. gut an das erfolgreiche Aufkommen komplexer Algorithmen bzw. Computer-Handelsprogramme nach dem Platzen der TMT-Blase ab 2000. Es ging im Kern um die richtige Erkenntnis, dass mit zunehmender Rechenpower die systematische und emotionslose Auswertung fundamentaler und charttechnischer Daten den Erfolg von Börsenstrategien deutlich erhöhen sollte. Waren vor 2000 insbesondere einfache Trendfolgemodelle im deutschen Aktienmarkt erfolgreich, wurden diese nach Platzen der TMT-Blase immer ausgefeilter. Mit dem Lehman-Crash ging allerdings die Erfolgsstory dieser Algorithmen-Generation abrupt zu Ende. Ich habe nach 2008 etliche systematische Modelle verfolgt, die einfach nicht mehr funktionierten. Der Markt hatte sich mit der großen Finanzkrise einfach massiv verändert und man musste neue Wege beschreiten.
Noch vor Lehman hatten wir z.B. mit Einführung der Behavioral Finance einen solchen Schritt bereits gut antizipiert. Hierauf komme ich zum Schluss noch kurz zu.
Woran erkennt man aber einen schleichenden Wandel des Marktes? Da er sich in der Realität durchaus auch nur in kleineren Segmenten vollzieht, ist natürlich der Bezug zur eigenen begrenzten Anlagestrategie das Relevanteste: Betrifft es mich überhaupt?
Dies ist relativ gut feststellbar, wenn man die Treiber seiner eigenen Strategie kennt. Wenn deren Rendite über einen adäquaten Zeitraum abnimmt oder das Schwankungsrisiko zulegt - ohne dass sich dies über die bekannten Treiber erklären lässt - dann ist eine Generalanalyse angezeigt. Und es steht natürlich die Frage im Raum, ob und wie man Änderungen vornimmt.
Einen schleichenden Wandel kann man aber auch an Veränderungen in den Datenreihen seiner relevanten Märkte erkennen. Hier kann man sich ein Set an Frühindikatoren zusammenstellen.
Beispiel: Der Erfolg der eigenen Anlagestrategie basiert erfahrungsgemäß stark auf der Diversifikation zwischen europäischen Dividendenaktien und der Nasdaq. Je unterschiedlicher die beiden Märkte laufen, umso besser funktioniert Ihre Anlagestrategie via Diversifikation. Mal läuft die Nasdaq besser, mal die Euro-Dividendentitel.
Um hier zu eruieren, ob Ungemach droht, bietet sich die Berechnung des sogenannten Tracking Errors zwischen dem Euro-Dividendenindex und der Nasdaq an. Dieser misst die Ähnlichkeit im Verlauf beider Märkte. Nimmt diese schon seit Längerem zu bzw. der Tracking Error ab, so wäre dies ein erstes Warnzeichen für die eigene Strategie, insbesondere wenn man auch einen Trend zu fallenden Renditen sieht.
Chart 2 zeigt mit einer steigenden Trendlinie, um die herum der Tracking Error verläuft, allerdings das Gegenteil an. Beide Märkte laufen wie gewünscht nach wie vor sehr unterschiedlich zueinander.
Zuletzt bleibt der Hinweis, sich stärker auf erfolgreiche Strategien zu fokussieren, die nur von wenigen Anlegern genutzt werden. Nach der letztjährigen Umfrage unter deutschen Asset Managern (CFA Society Germany) zählt unser Behavioral Finance-Ansatz weiter genau dazu. Sehr erfreulich.
In diesem Sinne,
Always expect the unexpected!
Ihr Mathias Werner